Alleine zwischen Wollbergen
Mich haben Geschichten anderer Menschen schon immer interessiert. Die echten Geschichten von Angesicht zu Angesicht erzählt. Ich will wissen, wie es den Menschen geht, was sie gerade fühlen. Welche Ängste sie haben, aber auch, welche Hoffnungen sie antreiben. So ist meine Idee zu „Momentaufnahme“ entstanden und seit dem Skype ich mit den verschiedensten Frauen.
Anke ist 50 Jahre alt und lebt in Nürnberg. Seit über 30 Jahren entwirft und produziert sie Strickwaren. Ihre Kollektion gibt es von der Stange, sie nimmt aber auch Auftragsarbeiten an. Mit 4 anderen Frauen hat sie ein Ladenatelier, das freitags für Kunden geöffnet ist.
Über meine Einladung zu einem Gespräch hat sie sich sehr gefreut, denn die persönlichen Kontakte fehlen ihr gerade sehr. Bereits zwei Wochen vor dem offiziellen Kontaktverbot hat sie sich schon isoliert – zum Schutz ihrer Eltern und Kunden. Seit dem ist sie zu Hause, eingeschlossen zwischen Wollbergen und jeder Tag ist eine neue Herausforderung.
Liebe Anke, wie geht es Dir gerade?
Mein Gefühlszustand schwankt von Tag zu Tag. Eigentlich habe ich kein Problem damit, alleine zu sein. Ich bin Einzelkind und lebe alleine. Doch die persönlichen Kontakte fehlen mir im Moment extrem. Deshalb freue ich mich auch so über unser Gespräch, das ist eine enorme Abwechslung für mich.
Mein Problem ist, dass mir jegliche Struktur fehlt und ich mich einfach jeden Tag anders fühle. Ich stecke in einem Gefühlschaos und manchmal fühle ich mich auch wie ein trotziges Kind, weil ich will, dass das jetzt endlich vorbei ist.
Wenn ich Morgens im Bett liege und die Sonne scheint, dann geht es mir gut. Bis mir die aktuelle Lage wieder in den Sinn kommt. Am Anfang war ich in einer absoluten Schockstarre und fühlte mich sehr verzweifelt.
Doch gerade an dem ersten Wochenende, als das Kontaktverbot rauskam, habe ich gemerkt, was für tolle Kundinnen ich habe. Samstags und sonntags haben mich viele Nachrichten erreicht, wie es mir gehe, ob man mir helfen könne, auch finanzielle Hilfe wurde mir angeboten. Gutscheine wurden gekauft, Bestellungen aufgegeben – das hat mich sehr gerührt.
Was bereitet Dir im Moment Sorgen?
Ich mach mir große Sorgen um meine Eltern, auch um ihre Gesundheit. Mein Vater ist 85, meine Mutter 80 und die beiden sind noch sehr aktiv. Ihre Aktivität wird gerade so eingeschränkt und das tut mir wirklich leid für sie.
Ansonsten mach ich mir Sorgen, was das Wirtschaftliche angeht. Zum Beispiel bekomme ich meine Wolle aus Italien – wie lange wohl noch?
Ich habe damals mein Hobby zum Beruf gemacht, sodass es mir nichts ausmacht, auch mal 16 Stunden am Stück zu arbeiten. Normalerweise geht die Zeit aber schneller rum. Im Moment fühle ich mich so antriebslos. Schlimm war auch der Tag, an dem bekannt wurde, dass die Geschäfte bis zum 20.04. geschlossen bleiben müssen. Da war ich wirklich niedergeschlagen und traurig.
Was tut Dir im Moment gut?
Ich gehe jeden Tag eine Runde im Wald spazieren. Das tut unglaublich gut. Ich gönne mir aber auch, Morgens auszuschlafen – dafür arbeite ich auch bis spät in die Nacht hinein zwischen Wollbergen. Was mir auch guttut, sind Telefonate am Abend. Mit einem Glas Rotwein.
Was ich großartig finde ist, dass ich auf einmal schöne Post bekomme. Ich hab‘ schon immer selber gerne Karten oder kleine Geschenke verschickt, mein Briefkasten war aber immer leer. Das ist jetzt anders.
Schön ist auch zu sehen, wie bei so vielen Menschen die Kreativität jetzt so sprüht.
Worauf freust Du Dich, wenn diese Zeit um ist?
Ich freue mich, meine Freundinnen wieder zu sehen. Freundinnen in Lieblingsstädten zu besuchen. Meine Eltern in den Arm zu nehmen. Wir haben uns in den letzten 5 Wochen gesehen, aber eben auf Abstand. Das ist ein seltsames Gefühl.
Vor einigen Tagen war ich mit dem Auto unterwegs – da habe ich sogar Abstand zum vorderen Auto gelassen. Total verrückt, oder?
Ich freue mich aber auch, wieder ganz normal einkaufen zu gehen. Es ist ein komisches Gefühl, überall Menschen mit Masken zu sehen. Selbst die Sparkasse hat jetzt einen Türsteher. Wer weiß, welche Veränderungen wir noch bekommen?
Da hätte ich auch noch eine Frage an die Nation: Wer kann mir das mit dem Klopapier erklären? Wer hamstert so etwas? Ich bin wirklich ein friedlicher Mensch, doch das egoistische Verhalten mancher Menschen hat mich in den vergangenen Wochen wirklich aggressiv gemacht.
Ich habe einfach nur die Hoffnung, dass es nach dieser Krise mehr Geld gibt für die, die gerade die Stellung halten. Im Moment würde ich nicht gerne an einer Kasse sitzen oder in einem Krankenhaus arbeiten müssen. Unglaublich, was die gerade leisten!
Was für ein schönes Schlusswort, liebe Anke.
Danke für Deine Zeit und Deine Antworten.
HIER gibt es noch mehr über Anke zwischen Wollbergen und dem Atelier.
Auch bei Instagram ist Anke zu finden.
Passt auf Euch auf und bleibt gesund
Denise
Dem Schlusswort der Anke kann ich mich nur anschließen, man kann sich gar nicht wirklich vorstellen, was die für Arbeit leisten. Nur durch Freunde, Familie die gerade in diesen Bereichen die Stellung halten, merkt man wie Nerven aus Stahl es gerade braucht. Alles Gute für Dich Anke, du hast mich gerade auf eine tolle Idee gebracht, die ich mich gleich widmen werde.
Liebe Alle,
das mit dem Verschicken von kleinen Briefen oder Karten ist eine schöne Idee. Es zeigt, dass man auch andere Wege finden kann, um wertschätzende Kontakte zu pflegen und eine kleine Freude zu bereiten.
Ich glaube, dass werde ich als kleines Ritual einführen, hübsche Postkarten zu versenden an Familie und Freunde.
Gestern kam ein Paket in der Reha für meine Freundin an, dass ich an sie in die REHA verschickt habe.
Da die Post nur Packsets mit Porto im Weihnachtsdekor hatte, habe ich das als kleinen Gag benutzt und dem Rentier auf dem Karton einen Hasenbart und Hasenohren angemalt. Das hat für einige Lacher dort gesorgt. Und dass sollte es auch bewirken: Mut machen und Lachen schenken.
Bleibt alle gesund.
Liebe Grüße
Sonja