Lifestyle

Momentaufnahme einer Schulsozialpädagogin

06/04/2020

Momentaufnahme

Mich haben die Geschichten anderer Menschen schon immer sehr interessiert. Die echten Geschichten, von Angesicht zu Angesicht erzählt. Ich will wissen, wie es den Menschen geht, was sie gerade fühlen. Welche Ängste sie haben, aber auch, welche Hoffnungen sie antreiben. So ist in der letzten Woche meine Idee zu „Momentaufnahme“ entstanden. Denn gerade jetzt haben Menschen das Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen.

Mit dieser Reihe möchte ich Einblicke in das Leben verschiedener Menschen geben. Ich konnte Frauen gewinnen, die mir eine Momentaufnahme ihres Lebens geben. Heute habe ich eine Schulsozialpädagogin für Euch.

Gespräch mit einer Schulsozialpädagogin

Heute habe ich Christina zu Gast. Sie ist 33 Jahre alt und wohnt mit Kater Jackson in der Nähe von Frankfurt.

Im März wurde Christina operiert, da sie einen Leistenbruch hatte und ist todtraurig darüber, dass sie gerade nicht Besuch empfangen kann. Da sie noch keine langen Wege laufen kann und nichts Schweres heben darf, bekommt sie die Einkäufe von der Familie und Freunden vorbeigebracht, was sie sehr rührt, da ihr bewusst ist, wie anstrengend Einkaufen aktuell ist. Tatsächlich hat sie auch immer alles bekommen, was auf  ihrer Einkaufsliste stand, was sie bemerkenswert findet!

Worüber sie sich aktuell Sorgen macht, sind „ihre“ Kinder. Christina ist Schulsozialpädagogin an einer internationalen Schule. Dort ist sie für 750 Kinder zuständig, von Kindergartenkindern bis Grundschulkinder. Sie wird ins Boot geholt, sobald Kinder sozial, emotional verhaltensauffällig sind, um sowohl den Kindern als auch den Eltern zu helfen.

Schulsozialpädagogin

Liebe Christina,

wie geht es Dir gerade?

Mir geht es endlich wieder besser. Ich wurde ambulant operiert und hatte danach starke Schmerzen. Kurzzeitig habe ich es bereut, nicht von einer Krankenschwester betreut zu werden. Doch nach 10 Tagen geht es langsam wieder bergauf.

Obwohl mich die Coronakriste gerade nicht persönlich betrifft (meine Großeltern leben nicht mehr, mein Job ist zu 100 % sicher), so lässt mich das Ganze natürlich nicht kalt. Bei Freunden und Familie ist Kurzarbeit angesagt, die Zustände in Italien finde ich besorgniserregend und bei den vielen Nachrichten überkommt mich oft ein Weltschmerz, eine große Hilflosigkeit.

Ich bin aber auch hin & her gerissen. Auf der einen Seite ist eine große Solidarität zu sehen, es gibt neue Diskussionen über die Bezahlung und Wertschätzung der systemrelevanten Berufe. So dramatisch die Situation auch ist, so birgt sie doch auch eine große Chance für einen Wandel. Ich würde es mir sehr wünschen.

In meiner Funktion als Schulsozialpädagogin mache ich mir vor den Sommerferien schon immer Gedanken um einige Kinder. Die Ferien sind einfach lang, da gebe ich ihnen vorher schon Werkzeuge und Adressen mit an die Hand, wichtig ist auch die Nummer gegen Kummer. Aber auch den Eltern gebe ich Unterstützung. Vor Corona konnte ich mich leider nicht darauf vorbereiten. Corona ist allerdings eine extreme Situation für alle, die Nerven liegen blank. 24/7 Zuhause, die Eltern müssen arbeiten, Kids müssen den Schulstoff durchziehen. Das ist nicht ohne. Sorgen bereiten mir die Zahlen aus Wuhan, die bestätigen, dass die häusliche Gewalt dreimal soviel Opfer gebracht hat. Aus Italien hat man auch schon ähnliches gehört.

Wäre ich jetzt nicht krankgeschrieben, würde ich im Homeoffice sitzen und alle abtelefonieren. Da wir eine Privatschule sind, klappt die Medienerziehung bei uns super. Es gibt für jede Klasse einen Ordner, wo sie ihre Sachen hochladen können. Mein Part wäre dann die Onlineberatung. Von meiner Kollegin, die die weiterführenden Klassen betreut, weiß ich, dass gerade „die Hölle los ist“. 

Was vermisst Du im Moment?

Mir fehlt das gesellige. Jetzt, wo es mir nach meiner OP langsam wieder besser geht, hätte ich große Lust, mich in ein Café zu setzen, einfach unter Menschen zu sein. Ich freue mich auf ein bisschen Normalität. Das wird sicher auch sehr wertschätzend. Das erste Mal „ausgehen“ wird uns in dauerhafter Erinnerung bleiben. Wenn man sich nach so langer Zeit wieder in den Arm nehmen kann. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber Routine und Normalität – das wär schön. Und das gesellige fehlt einfach sehr.

Einsam fühle ich mich nicht, da ich im ständigen Kontakt mit anderen bin. Telefonate und Skype machen die Situation einfach besser.

Ich bin erst vor 8 Monaten in meine Wohnung gezogen und hole mir gerade viel Inspiration. Eigentlich ganz cool, dass ich jetzt dafür Zeit habe, mich in meiner Wohnung weiter einzurichten. Ich habe Zeit, durch Kataloge und Pinterest zu stöbern, Ecken auszumessen und Pläne zu schmieden. Schließlich verpasse ich gerade sowieso nichts draußen!

Schulzozialpädagogin

Ich bin super froh, dass ich im Februar noch für eine Woche spontan in Dubai im Urlaub war. Das war super, denn dort konnte ich noch ein bisschen Sonne tanken. Aber wie verrückt das. ist – innerhalb eines Monats hat sich dann komplett alles verändert.

Jetzt bin ich mal gespannt. Den ganzen Wahnsinn habe ich letztendlich nur in den Medien mitbekommen, wegen der OP. Jetzt will ich das erste Mal wieder alleine einkaufen gehen. Dann werde ich mir den Wahnsinn selber angucken. Noch ist es für mich wie eine andere Welt, weil ich die ganze Zeit nur Zuhause war.

 

Herzlichen Dank, liebe Christina für diese Momentaufnahme einer Schulsozialpädagogin.

 

Noch ein paar wichtige Telefonnummern:

Hilfetelefone gegen Gewalt an Frauen (08000-116 016)

Für Schwangere in Not (0800-40 40 020)

Nummer gegen Kummer (11 61 11)

 

Alles Liebe

Denise

 

 

  • Karoline 06/04/2020 at 14:35

    Hallo Denise, hallo Sandra,
    ich finde es auch gut, dass Corona nicht nur Negatives mit sich gebracht hat, sondern einen Platz bietet um Diskussionen heranzuziehen, die man vorher nicht bedacht oder berücksichtigt hat :). Aus unserem Freundeskreis sind viele auch in Kurzarbeit getreten und machen zudem Homeschooling. Bei manchen klappt das wirklich harmonisch, während bei einer Freundin von uns, die Fetzen fliegen. Ich muss mich manchmal wirklich kneifen um zu realisieren, dass das gerade wirklich passiert :/.
    Viele liebe Grüße, Karoline