Ordnung

Die Vergangenheit, konserviert im Kalender

04/03/2021

Weißt Du, was Du im März 1995 gemacht hast?

Ich weiß ziemlich genau, was ich im März vor 26 Jahren gemacht habe:

  • Ich war unsterblich in Benjamin verliebt, der am Ende des Monats mit mir Schluss gemacht hat,
  • einmal pro Woche habe ich Abends bei einer Familie auf die Kinder aufgepasst,
  • tagsüber habe ich versucht, meiner Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten nachzugehen,
  • in Fachkunde waren die Themen Mahnverfahren, Termine und Fristen dran,
  • am Wochenende bin ich von einer Party zur nächsten gefahren,
  • und im Radio lief Abends Steve Mason.

Mit wem ich telefoniert und welche Filme ich im Kino geschaut habe kann ich ebenso rekonstruiere wie den genauen Tag, an dem wir dann im Mai nach England zur Hochzeit meines Onkels gefahren sind.

All diese Fakten sind nicht in meinem Kopf, sondern in meinem Kalender abgespeichert. Wenn ich diesen Kalender jedoch öffne, dann ist es wie eine Zeitreise und ich fühle mich direkt wie das durchgeknallte Mädchen, dass ich mit fast 17 Jahren war. Ähnlich wie bei Narnia der Kleiderschrank sind meine Kalender der Zugang in eine andere, längst vergessene Welt. 

kalender

Kalenderliebe

Die vergangenen Jahre

Im Gegensatz zu meinen Tagebüchern, die ich damals seitenweise vollgeschrieben habe  und von denen ich schon einige Exemplare verbrannt habe,  sind die Kalender aus dieser Zeit deutlich  „unverfänglicher“. Würde irgendwer die vollgeschriebenen Seiten im Kalender lesen, würde er nicht sofort wissen, was damals in meinem Kopf vor sich ging.

Anhand der Einträge weiß ich jedoch ganz genau, was damals los war und wie ich mich gefühlt habe und ich freue mich, wenn ich in die Vergangenheit eintauchen kann. Das passiert nicht oft, dass ich die Kalender zur Hand nehme. Aber es kommt durchaus mal vor. So habe ich zum Beispiel mit meiner Freundin Silvana überlegt: „Seit wann kennen wir uns eigentlich?“ Nach einigen Überlegungen hatte ich den richtigen Kalender in der Hand, kurz vor und zurückgeblättert, jetzt wissen wir, dass wir in diesem Sommer unser 10. jähriges Jubiläum haben. Für diese Rekonstruktion meines Lebens liebe ich meine Kalender und so werde ich sie wohl ewig aufbewahren.

Meine Tagebücher? Weg damit!

Meine Kalender? Würde ich niemals hergeben!

kalenderliebe

Vielleicht überrascht den ein oder anderen dieses Bekenntnis. Wo ich doch immer vom „loslassen“ schreibe. Nicht zurück blicken, lieber im hier & jetzt leben und sich nur mit Dingen umgeben, die man benötigt oder die man liebt.

Und da haben wir es: Ich liebe meine Kalender! Ich liebe es, durch die (oft unsinnigen) Notizen zu blättern und die darin abgesicherten Gefühle aufzuwecken. Wenn ich auf eine Notiz stoße „13 Uhr, Andy vorm Disney Shop treffen“ – dann denke ich direkt an den englischen Flirt, an Andy, den ich auf der Hochzeit meines Onkels kennengelernt habe. Ich würde ihn heute nicht mehr erkennen, aber die Erinnerung daran lässt mich kurz lächeln.

Kalender

Kalenderliebe

Loveparade

Während ich weiter blättere, fällt mir ein weiterer Name auf: Andreas. Ich war ein Wildfang und hatte viele Bekanntschaften. Aber nur ein Andreas war dabei, an den ich mich heute noch erinnere. Am Samstag, dem 08. Juli 1995 hat er mich morgens um 4 Uhr zu Hause abgeholt und ist mit mir nach Berlin zur Loveparade gefahren. Ein sensationelles Erlebnis. Wenn ich meinen Kindern davon erzähle und wir YouTube Videos von der Loveparade sehen, dann weiß ich, dass ich meine Jugend absolut ausgekostet und genossen habe. Die passenden Fotos zur Loveparade hingegen – die halte ich lieber weiter unter Verschluss.

Kalenderliebe

Kurz bevor ich den Kalender schließen möchte, fällt mein Blick auf den Post-it, den mir meine Mutter damals geschrieben und ans Telefon geklebt hat: „Jeanette hat angerufen. Der Brief ist angekommen!“ Damals hatte man noch Festnetz-Telefone mit Schnur, sodass man im Flur stehend telefonieren musste und alle haben unweigerlich zugehört.

die vergangenen Jahre

Kurzerhand habe ich Jeanette gegoogelt. Sie ist die Tochter vom (mittlerweile verstorbenen) Parkchef des Safariland Stukenbrock und ich werde nie vergessen, wie sie mich mal in das Gehege zu den Baby-Löwen mitgenommen hat. Ein einmaliges Erlebnis! Das letzte Mal, das wir uns gesehen haben, war vor 15 Jahren, als ich mit Zoé schwanger war und wir Jeanette im Park besucht haben. Jetzt war ich neugierig, was sie wohl macht und ob es ihr gut geht und siehe da: 2019 hat sie eine Frau geheiratet. Wie wunderbar! Kurz in meinen Kalender für diesen Sommer notiert: Mit den Kids nach Stukenbrock fahren und hoffen, dass ich Jeanette über den Weg laufe.

Und so geht es weiter durch das Jahr und ich könnte mich darin verlieren, in Erinnerungen zu schwelgen und den ein anderen Bekannten zu googeln. Doch irgendwann ist es genug, ich klappe das Buch wieder zu, lege es zurück in den Schrank und freue mich, dass ich all diese Erinnerungen jederzeit abrufen kann, wenn mir danach ist.

 

Ordentliche Grüße

Denise

 

p.s. mehr zu diesem Thema findet Ihr in meinem Beitrag Erinnerungsstücke sowie Zeit sinnvoll nutzen.

Und in diesem Beitrag kommt meine Kalenderliebe auch vor: Leben ohne Ballast. 

 

 

 

 

  • Liz 04/03/2021 at 8:19

    Danke für diesen schönen Einblick. Ich beneide dich für diese wunderbare Kalendersammlung. Ich bin auch ein großer Freund von Papierkalendern, aber erst seit einigen Jahren. Für die Zeit davor muss ich mich auf mein Gedächtnis verlassen.

  • Julia Erdbeerqueen 04/03/2021 at 9:14

    Hach wie schön <3 toll zu lesen, dass du das auch so machst. Ich habe zwar leider nicht ganz so alte Kalender, aber dennoch welche aus dem Studium, die ich nicht missen möchte, weil da direkt Erinnerungen hochkommen.
    Vor allem diese kleinen Zettelchen, die man sich immer geschrieben hat 😀

    Ich liebe ja deine Donnerstagsposts und die anderen auch. Und warte immer sehnsüchtig auf den neuesten Beitrag.

    Danke Denise für diesen schönen Einblick.

    Liebe Grüße
    Juli

  • Petra von FrauGenial 04/03/2021 at 10:07

    Das ist bei mir ebenfalls ähnlich. In meinen Kalender sind mehr Gedanken, Notizen als in meinen inzwischen nicht mehr vorhandenen Tagebücher. Ich weiß nicht wie viele Herzen ich in den Kalender reingemalt habe, und Sticker drauf geklebt habe. Einfach unglaublich. Ich stöbere gleich auch mal wieder eine Runde im Kalender rum!

  • Kathrin 04/03/2021 at 12:35

    In einem Anfall von Ausmisterei habe ich meine Kalender aussortiert. Jetzt im Nachhinein eigentlich schade, weil ich unbewusst auch hin und wieder in meinem Handy Kalender die vergangenen Jahre durch blättere. Aber die handgeschriebenen von vor 10 Jahren wären schon interessant. Zaubert mir gerade auch ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich an die ‚alten Zeiten’ denke. Und mit ‚im hier und jetzt leben’ hat es ja doch irgendwie zu tun, weil es daran erinnert, dass wir jetzt die Erinnerungne für später schreiben!
    Vielleicht fange ich doch wieder an, meinen Jahreskalender aufzuheben. Man schreibt ja doch mehr rein, als in den handy-Kalendern vermerkt wird.
    Danke fürs Erinnern 🙂

  • Gundula Mehlfeld 04/03/2021 at 13:09

    Liebe Denise,
    ich hatte immer nur unpersönliche Kalender – und auch erst seit ich berufstätig wurde.
    Für dieses Jahr habe ich mir einen besonderen Kalender gegönnt,
    der Zeichnungen und kleine Texte enthält. Da habe ich dann gleich inspiriert mitgemacht. Den werfe ich bestimmt nicht weg!
    Warst du als Teenie denn auch schon ordentlich – oder nur „wild“?
    LG Gundula

    • fräulein | ordnung 04/03/2021 at 13:26

      Liebe Gundula,

      als Teenie habe ich versucht, ordentlich zu sein und habe meine Sachen oft und gerne neu sortiert. Doch die Sache mit dem „loaslassen“, sich von Dingen auch wieder zu verabschieden, habe ich erst in den Jahren danach verinnerlicht 🙂

      Liebe Grüße
      Denise

  • Anke 04/03/2021 at 15:21

    Ein herrlich-wohltuender Beitrag! Danke! 🙂 In den Augen meiner Mutter war ich IMMER unordentlich, sie machte sich auch die Mühen, regelmäßig meine Teenie-Schubläden und -Schränke aufzuräumen, naja, sie nannte es „Aufräumen“. Auch wenn ihr überall diese Warnschilder begegneten, die nur für sie bestimmt waren; an eines erinnere ich mich natürlich besonders gut: >Nur ein Genie beherrscht das Chaos.< Es war ein sehr freundliches Schild, finde ich.
    Auch heute räumt meine Mutter noch gerne bei mir auf, der Akt des Aufräumens ist in ihrer Sprache aber gleichzusetzen mit Wegwerfen. Ich darf also nicht das Haus für einen längeren Zeitraum verlassen 😉
    All meine Kalender mit meinem konservierten Leben habe ich hingegen bis heute retten können. Vor jedem. Und vor meinem eigenen Aufräum-Antrieb, der mich vor jedem Umzug mit Vehemenz packte. Es sind exakt 2 m 30 cm stabilstes schönstes Kalender-Regalbrett. Einige Buchrücken sehen aus wie Deine, Denise.

    • fräulein | ordnung 04/03/2021 at 19:51

      Ohhhhh, wie toll, liebe Anke!
      Hab ich schon gesagt, dass ich mich schon sehr auf unseren Termin freuen?

      • Anke 04/03/2021 at 20:53

        Oooooh, das kann ich zurückgeben ! Es geht bald los und dann gibt es „etwas auf die Ohren“! 🤭🥳🙃😀

  • Nicole Kirchdorfer 04/03/2021 at 15:45

    OMG Denise. Das ist super süß und macht mich jetzt fast ein bisschen traurig, weil ich keine Ahnung habe, was ich da gemacht habe.
    Eigentlich ist mein Blog mittlerweile mein kollektives Gedächtnis, was allerdings soviel heißt wie: vor 2018 ist eigentlich nix gewesen…
    Voll doof…
    Aber, seit meine Mama ein Smartphone hat, werden zumindest mal alte Fotos digitalisiert. Früher oder später fällt mir bestimmt auch so ein cooler Schnappschuss in die Hände 🙂

    LG Nicole

  • Ulrike 05/03/2021 at 10:53

    Ein sehr schöner Beitrag! Ich habe meine Kalender auch noch. Der älteste ist von 1982. Darin rumzuschmökern ist wie eine Zeitreise zum jüngeren Ich. Manchmal sehr aufschlussreich, manchmal peinlich. Leider ist das Schreiben mit den Jahren weniger geworden, die Seiten leer geblieben. Am Anfang des Jahres jeder Tag festgehalten und dann nur noch sporadische Einträge. Eigentlich schade.

  • Lisa 14/03/2021 at 19:08

    Oh Denise, wie schön muss es sein, in diesen Kalendern zu blättern. Gerade ärgere ich mich fast, dass ich kaum einen Kalender aufbewahrt habe. Nur einer ist weiterhin bei mir, der von 2011. 2011 bin ich mit meinem Studium fertig geworden. Da drin befinden sich einige Einträge von meinen damaligen Mitstundentinnen und auch alles, was wir unternommen haben. Einfach schöne Erinnerungen. Seit mittlerweile 3 Jahren nutze ich einen Filofax und habe bisher am Ende des Jahres die benutzten Kalenderblätter weggeschmissen. Gerade ärgere ich mich darüber und hoffe, ich erinnere mich am Ende des Jahres daran, die zukünftig aufzubewahren.

  • mmor 24/03/2021 at 16:08

    Tagebücher kann man auch beim Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen abgeben/einschicken. Die freuen sich sehr über jedes Zeitzeugendokument und archivieren und verschlagworten es.