Lifestyle

Momentaufnahme | Vor der Bürgermeisterwahl

13/09/2020

Mich haben Geschichten anderer Menschen schon immer interessiert. Die echten Geschichten von Angesicht zu Angesicht erzählt. Ich will wissen, wie es den Menschen geht, was sie gerade fühlen, was sie denken. Welche Ängste sie haben, aber auch, welche Hoffnungen sie antreiben. So ist im März meine Idee zu „Momentaufnahme“ entstanden und seit dem Skype ich mit den verschiedensten Menschen.

Vor der Bürgermeisterwahl

Anne ist fast 39 Jahre alt und Mutter von drei Töchtern. Sie lebt am Niederrhein, arbeitet in einer PR-Agentur und ihr Lebensgefährte steht gerade vor der Bürgermeisterwahl. Das Gespräch haben wir bereits vor 11 Tagen geführt.

Vor der Bürgermeisterwahl

Liebe Anne, wie geht es Dir heute?

Müde. So wie immer in letzter Zeit. Mein Lebensgefährte kandidiert um das Bürgermeisteramt in unserer Stadt. Diese Kandidatur bestimmt unser Leben schon seit über einem Jahr und gerade sind wir in der heißen Phase des Wahlkampfes und es zehrt ganz schön.

Wie lange seid Ihr schon ein Paar?

Seit fast drei Jahren. Wir kennen uns schon knapp 20 Jahren, aber wie das Leben so spielt … Ich fand ihn schon immer sympathisch. Sein Humor, seine Art, ist das, was ich am meisten an ihm schätze. Wir haben uns wieder getroffen, als wir beide getrennt waren und dann war relativ schnell klar, dass es passt.

Mein Lebensgefährte hat zwei Söhne, die aber bei der Mutter in einer anderen Stadt leben.

Vor zwei Wochen habe ich mir vorgenommen, die restliche Zeit des Wahlkampfes diejenige zu sein, die immer gut gelaunt ist und die Fahne hochhält. Wie man das als Frau wahrscheinlich immer macht?

Doch am Wochenende habe ich gemerkt, wie gesättigt ich gerade bin. Selbst wenn ich mich mit Freundinnen treffe, kommt das Thema auf den Tisch.

Wenn er es schafft, dann bist Du „Bürgermeister-Gattin“.

Mag sein, dass mein Lebensgefährte dann Bürgermeister ist. Aber mein Leben geht ja trotzdem weiter. Ich habe einen Job, meine Kinder, meine Freunde. Mein Plan ist, einfach so zu bleiben.  Für mich ist das ein Job wie jeder andere. Es wird nicht leicht sein, aus dieser Krisenphase eine Stadt zu führen, aber mein eigenes Leben geht ja auch weiter.

Lass uns aber gerne später noch mal sprechen und gucken, ob ich zu naiv an die Sache ran gegangen bin, aber so sehe ich das: Einfach ganz normal bleiben.

Bürgermeisterwahl

Wie sieht Dein Alltag im Moment aus?

Seit April bin ich in Kurzarbeit. Langsam zieht es wieder an, wir haben zwei Präsenztage in der Agentur. Im Hinblick auf den Wahlkampf ist es gut, dass im Büro weniger los war, weil ich die komplette Social Media Arbeit mache, Pressemitteilungen schreibe und zu Terminen mitfahre, um Fotos zu machen. Dafür hatte Corona sein Gutes, denn bei 25 Stunden Arbeit hätte ich den Wahlkampf nicht so begleiten können.

Was vermisst Du gerade?

Die Leichtigkeit ist mir gerade etwas abhanden gekommen. Normalerweise bin ich jemand, die immer gut gelaunt und locker ist. Doch im Moment bin ich sehr ernst geworden, weil ich immer darauf bedacht bin: Wie wirke ich gerade? Die Bürgermeisterwahl ist immer im Hinterkopf.

Es macht ja auch Spaß und man lernt viele Menschen kennen. Trotzdem ist es gerade ähnlich wie eine Geburt: wenn man in der 38. Woche ist und nur noch möchte, dass es endlich passiert. Ob es nun weh tut oder nicht, ich will nur noch, dass es vorbei ist, dass wir es hinter uns haben.

Hat sich in den vergangenen Monaten der Inhalt Deines Kleiderschrankes verändert?

Gleich muss ich noch zu einer Veranstaltung. Dafür liegen Strickjacke, Bluse und High Waist Hose schon parat. Der Inhalt ist eindeutig vielfältiger geworden.

Was beschäftigt Dich im Moment?

Der Wahlkampf läuft viel über die sozialen Medien, weil Präsenzveranstaltungen nur im kleinen Maße stattfinden konnten. Was da los ist, geht teilweise unter der Gürtellinie und ist unsachlich.

Da hatte ich letztes Wochenende echt ein Tief, weil das unfair und unverhältnismäßig war.  Wir reden hier nicht von einem Ministerposten, sondern nur über einen Bürgermeisterposten einer kleinen Kommune.

Wenn man als Partnerin solch miese Sachen liest, ist das schon hart. Es ist schwierig, weil man diesen Dingen so viel mehr Bedeutung beimisst und sich daran aufreibt. Da muss ich sicherlich ein dickeres Fell bekommen. Wenn ich die PR für eine fremde Person machen würde, dann würde mich das nicht so mitnehmen. Doch wenn der Partner so ins Kreuzfeuer gerät – puh! Da war es dann kurzzeitig vorbei mit meinem Motto „Fahne hoch!“

Gestern Abend hatten wir aber die erste Podiumsdiskussion und die ist gut gelaufen.

Anstrengende Zeit – aber auch total spannend. Wie viele Frauen können schon erzählen, dass ihr Partner Bürgermeisterkandidat ist?

Genau das habe ich vorgestern auch gedacht. So eine Bürgermeisterwahl und einen Kommunalwahlkampf erlebt zu haben, durch diese Zeit zu gehen. Man bekommt sowas ja sonst selten mit. Das ist richtig interessant und macht auch echt Spaß. Und unsere Beziehung ist jetzt absolut stresserprobt. Uns haut so schnell nichts aus den Latschen!

Was auch sehr spannend ist – welche Menschen, auch Frauen sich plötzlich für meinen Partner interessieren. Da sucht mein stellenweise das Anstandsdenken. Aber auch hier hilft nur: darüber reden, zueinanderstehen. 

Was wünschst Du Dir für die Zukunft?

Die Leichtigkeit zurückgewinnen. Im Moment bin ich zart beseitigte und stehe unter Druck.

Ein Stück Leichtigkeit hatten wir kürzlich, als wir uns die Zeit genommen haben und zu einem kleinen Konzert von Heinz Rudolf Kunze gefahren sind. Das war so schön. Kennst Du das Buch „Frederick“, der die Sonnenstrahlen einsammelt? Das habe ich zu Jan gesagt, „Wir müssen diesen Abend wie diese Sonnenstrahlen in uns aufsaugen, damit wir davon in den nächsten zwei Wochen zehren können.“

Wir gehen jetzt noch auf „Dankes-Tour“. Es gibt so viele Menschen, die mit uns „kämpfen“ und hinter uns stehen, ihre Zeit geopfert haben. Menschen, die so ehrlich und nett sind. Wir haben schönen Wein gekauft und fahren am Wochenende noch mal alle Leute ab, um den zu verteilen.

Die netten Menschen, die muss man im Fokus haben! Von denen gibt es eine Menge.

Mal sehen, wie es am 13.09. ausgeht und wie unser Leben weiter geht. Jan und ich, wir sind beide umtriebige Menschen.  Wir haben letztens nach einem Camper geguckt und überlegen, uns so einen zuzulegen. Langweilig wird es bei uns nicht, es gibt immer irgendwas zu tun.

Dann haben wir aber auch wieder die Zeit dafür. Und wir wissen jetzt auch, wie wertvoll die Zeit eigentlich ist.

Bürgermeisterwahl

Liebe Anne, ich wünsche Euch für die heutige Bürgermeisterwahl genau das Ergebnis, was Ihr braucht. Für Euch, Euer Leben und Eure Beziehung. Egal wie es kommt, so soll es sein.

Und an alle meine Leser, die für heute eine Stimme haben: GEHT bitte WÄHLEN!

 

Alles Liebe

 

Denise

 

 

p.s. Du möchtest mir auch eine Momentaufnahme geben? Dann schick mir gerne ein eMail an info@fraeulein-ordnung.de und erzähle mir in 3 – 4 Sätzen, wer Du bist und was Du machst. Vielleicht bist Du dann die nächste, die ich hier vorstelle!

 

  • Beatrix 13/09/2020 at 9:42

    Hallo Denise und Anne,
    Danke für diese interessante Momentaufnahme.
    Lese gerade die Biografie von Michelle Obama.

    Die Welt braucht mehr Frauen wie euch .
    Sich aufs Positive besinnen.
    Schauen was uns verbindet und nicht was uns trennt.

    Für die Leichtigkeit, hilft bei mir zumindest , Barbaradio
    _Mit den Waffeln einer Frau ,
    Barbara Schöneberger spricht 1 Stunde mit Prominente und
    das ist immer lustig anzuhören , versprüht gute Laune.
    Höre ich mir gerne an, da vergeht die Zeit mit Hausarbeit viel schneller.

    Anne viel Glück und lass dir deine Leichtigkeit nicht nehmen.
    Allen kannst du es nie recht machen , nur dir selber.

    Falls es Mal nicht so läuft, wie wir Frauen es gerne hätten
    sich was Gutes gönnen , tanzen , lachen , sich eine Freude machen –
    oder beim Spaziergang einen Podcast hören z B
    von Laura Seiler über die Vergebung und Selbstliebe.
    Allen einen schönen entspannten arbeitsfreien Sonntag,

  • Nicole 13/09/2020 at 10:24

    Liebe Denise, liebe Bettina,
    ich verstehe Bettina, besser als sie ahnt. Und ich kann ihre Gedanken, Sorgen und Gefühle teilen. Es ist sicher nicht leicht, die miesen Bemerkungen abzuschütteln. Zumal ich so etwas niemals verstehen werde. Austausch von Meinungen, anderer Ansicht sein- ja. Unter die Gürtellinie- niemals
    Aber sie selbst zu bleiben, das hat sie in der Hand und das kann sie schaffen. Denn so schön es ist, wenn er gewinnen sollte. Das ist immer ein Amt auf Zeit und sie, sie bleibt.
    Ich wünsche ihr, dass sie ihre Leichtigkeit zurückgewinnt und dass sie das Amt nach Hause holen.
    Alles Liebe,
    Nicole

  • Petra von FrauGenial 13/09/2020 at 10:29

    Ich kann mir ganz gut vorstellen, wie belastend es sein kann. Auch wenn es nur der Bürgermeisterposten ist. Da steckt viel Arbeit, und vor allem Herzblut! Ich wünsche, dass Du schnell an deine Leichtigkeit zurückgewinnst, da diese sicherlich hilft mit dem Stress umzugehen. Ich drücke Euch beiden die Daumen!

  • Brigitte 14/09/2020 at 21:43

    Hallo Denise,

    „Bürgermeister-Gattin“, da mußte ich doch gerade schlucken. Ich kann mir vorstellen, dass es eine aufregende und zeit-und kräftezehrende Aufgabe ist, den Lebensgefährten zu unterstützen. Ein interessanter Bericht und keine einfache Zeit.

    Zeitgemäßer und auch emanzpierter hätte ich es allerdings gefunden, wenn du über eine der Damen, die sich hier in unserer Region um das Bürgermeisterinnenamt beworben haben, wie Eliza Diekmann in Coesfeld (gewonnen!), Anne Kortüm in Gescher (gewonnen!), Marion Dirks in Billerbeck (Amt behalten!), Manuela Mahnke in Nottuln (leider Amt verloren), Dagmar Jeske in Velen (gewonnen!) berichtet hättest bzw. über deren Lebensgefährten.

    Die Frauen haben sich Sachen anhören müssen wie „Wer kümmert sich denn um die Kinder“, bis hin zu „die will doch nur eine fette Rente ergattern“. Ich habe noch nie gehört, dass sich so etwas die männlichen Bewerber sagen lassen mußten.

    Gibt es denn ein Update zu der obigen Geschichte? Wurde Anne „Bürgermeister-Gattin“?

    Beste Grüße von nebenan – Brigitte

    • fräulein | ordnung 15/09/2020 at 7:37

      Oh ha … Liebe Brigitte, vielleicht ist Dir aufgefallen, dass ich das Wort in „Gänsefüsschen“ gesetzt habe?

      Wenn sich eine der von Dir genannten Damen bei mir gemeldet hätte, hätte ich vielleicht einen „zeitgemäßeren und emanzipierteren“ Beitrag schreiben können 😉 Ich empfinde die Momentaufnahme mit Anne jedoch nicht als un-zeitgemäß. Es gibt einen Einblick in das Leben eines Menschen und da sollte es nicht um solche Bewertungen gehen.

      Ich weiß also nicht ganz, warum Dein Kommentar so harsch ist? Aber Anne wird mit ihrem Lebensgefährten nun andere Wege gehen, da er die Wahl nicht gewonnen hat.

      Mit besten Grüßen

      Denise

  • Anne 16/09/2020 at 10:28

    Hallo zusammen, ich bin’s Anne.
    Danke für die netten und lieben Kommentare, am Sonntag war ich richtig gerührt. Danke!
    Ja, die Leichtigkeit ist schon in Sichtweite, vermutlich ist ein Leben ohne solch ein Amt in der Familie einfacher, leichter, freier.
    Die Wahl-Niederlage schmerzte natürlich im ersten Moment. Auch im zweiten. Jan so enttäuscht zu sehen war richtig hart. Ein ‚Sieg‘ hätte die ganze Mühe, das Engagement und den irren Einsatz einfach belohnt.
    Jetzt nach dem sacken lassen bin ich / sind wir fein mit der Situation, dem Ergebnis.
    Politik spiegelt die Meinung der Gesellschaft wieder, das kann auch schon mal wehtun. Wenn es dabei fair zugeht, kann ich das unter ‚gelebte Demokratie‘ verbuchen. Dazu gehören auch Spitzen. Die wurden aber zum Schluss (und sogar am Tag nach der Wahl!) teilweise überschritten. Nicht auszudenken, was man sich in so einer Amtszeit alles „einfängt“! Lieber nicht.
    Alle Energie fließt nun wieder in die Kanzlei und es ploppen schon wieder die ersten Ideen auf. Das funktioniert halt auch nur mit Leichtigkeit. Und da geht es weitgehend sachlich zu. Schön.
    @Brigitte: Ich finde es toll, dass du die Politikerinnen in deime Umfeld so im Blick hast. Mein Interview sollte jedoch keine Diskussion über die politische Partizipation von Frauen an Verwaltungsspitzen lostreten. Diese Debatten werden ausreichend an anderen Stellen geführt.
    Als Denise im Interview „Bürgermeistergattin“ erwähnte, mussten wir beide schmunzeln, habe ich doch mit meiner Antwort wohl auch gezeigt, dass ich mich in dieser Rolle nicht sehe. Das Rollendenken überholt sich ohnehin, meiner Meinung nach. Langsam aber stetig. Da helfen auch keine harschen Kommentare bei der Beschleunigung. 😉

    Herzliche Grüße!
    Anne

  • Katrin 17/09/2020 at 18:12

    Liebe Denise, liebe Anne! Vielen Dank für den spannenden und authentischen Bericht! Da mein Mann auch solch einen Posten anstrebt, steht uns das wohl alles noch bevor. Wahlkampf… Und wir haben auch drei Kinder- was ja schon eine Aufgabe ist… Am meisten Bedenken habe ich auch vor allem Negativen – ich glaube da gibt es Menschen die einem das Leben sehr schwer machen können 🙁
    Aber sicher trifft man auch viele nette Leute- nur hoffentlich nicht so viele die es auf den eigenen Mann abgesehen haben 😉
    Liebe Anne- alles Gute für euch- ich kann verstehen, dass es nach so viel Aufwand und Energie erst mal weh tut, aber sicher hat es alles seinen Sinn wie es kommt! Behalte die Leichtigkeit!
    Viele Grüße Katrin