Lifestyle

Momentaufnahme einer Chefin und Mutter

31/05/2020

Gespräch mit einer Chefin und Mutter

Mich haben Geschichten anderer Menschen schon immer interessiert. Die echten Geschichten von Angesicht zu Angesicht erzählt. Ich will wissen, wie es den Menschen geht, was sie gerade fühlen. Welche Ängste sie haben, aber auch, welche Hoffnungen sie antreiben. So ist meine Idee zu „Momentaufnahme“entstanden und seit dem Skype ich mit den verschiedensten Menschen.

Yvonne ist 44 Jahre alt, Versicherungsfachfrau bei Allianz Herzog & Meckelholt. Sie hat sechs Mitarbeiter und einen Sohn, der in die erste Klasse geht. Zusammen mit ihrem Partner, der Polizist im Schichtdienst ist, lebt die Chefin und Mutter in Rheda-Wiedenbrück.

Chefin und Mutter

Liebe Yvonne, wie geht es Dir gerade?

Überfordert. Durch die neue Form der Arbeit „dank Corona“ und es nötig ist sich ständig neu zu koordinieren in der  momentanen Situation und immer neu anzupassen. Und natürlich hat jeder Mensch die eigene Art diese neue Situation zu leben und wahrzunehmen. Das gilt im Team, wie auch im Umgang mit anderen Menschen. Auf der Arbeit könne könnte man natürlich sagen: Eure Befindlichkeiten haben auf der Arbeit nichts zu suchen, im Büro habt ihr zu Funktionieren. Aber so funktioniert das eben nicht. So funktioniert es auch im Privaten nicht. In der Realität muss man offen und ehrlich miteinander kommunizieren und Lösungen finden, die passen für alle.

Ich habe im Job sehr viel mit Menschen zu tun, das ist die Basis meines Jobs. Momentan dreht sich einfach jedes Gespräch um Schutzmasken, Abstand halten, Hände waschen, Bill Gates … jeder erzählt mir seine Sicht der Dinge. Das strengt mich persönlich an. Nicht die Gespräche – aber, dass so wenig Positives dabei ist und viele Kunden wirklich unter den Einbußen leiden, menschlich wie auch finanziell. Das ist neu für mich in dieser Dimension.

Mich strengt auch an, dass ich Hausaufgaben mit meinem Sohn machen muss. Das ist einfach nicht meine Kernkompetenz, meinem Sohn zu erklären, warum sich ein C manchmal wie ein K anhört. Dafür kann ich wunderbare Höhlen mit ihm bauen.

Wie sieht Dein Alltag im Moment aus?

Als Chefin und Mutter habe ich das Gefühl, das ist kein Alltag. Der klassische Alltag sah früher ganz anders aus. Selbst das Chaos, das wir vorher zwischen Schule, Büro, Schichtdienst und weiteren Terminen hatten, war organisierter als das, was aktuell unser Alltag ist.

Manchmal weiß ich nicht, ob jetzt Montag oder Dienstag ist. Früher konnte ich zwei Tage im Voraus sagen, wann ich wo bin. Im Moment weiß ich Abends oft nicht, was am nächsten Morgen ist. Es fliegt irgendwie alles hinten rüber. In der ersten Woche dachte ich noch, es ist easy going. Aber so easy ist es einfach nicht.

Als Corona kam, sind wir mit unserer Agentur umgezogen, mein Kompagnon war in dem Moment zwei Wochen richtig krank, also nicht zugegen. So ging es in einer Tour weiter. Nebenher musste ich noch eine richtige fette Prüfung schreiben, weil ich mich zur Vermögensfachagentur fortgebildet habe. Zu Hause stapelt sich dann die Wäsche und mein Respekt geht an alle Mütter, die das besser hinbekommen!

Von unseren Mitarbeitern ist keiner in Kurzarbeit. Wir haben uns für das Wohl der Mitarbeiter entschieden und somit zu unseren finanziellen Lasten. Alle Mitarbeiter haben in den ersten Wochen abwechselnd eine Woche Urlaub genommen. Unsere Mitarbeiter  wurden alle so ausgestattet, sodass sie von Zuhause aus arbeiten konnten.  Am Ende wollten aber die wenigsten zu Hause arbeiten – sie waren alle froh, raus zu kommen.

Unser Plan für die Zukunft lautet: nicht untergehen!

Was vermisst Du im Moment?

Mit einer Freundin zusammen sitzen. Mir fehlt es, mich ins Auto zu setzen und irgendwo hinzufahren. Das fehlt mir auch für meinen Sohn so sehr, dass er sich verabreden kann. Mir fehlt keine Form von Luxus, aber mir fehlt der Luxus, die wenige freie Zeit, die ich habe, mit Menschen zu verbringen, an denen unser Herz wirklich richtig hängt.

Die Menschen, an denen mein Herz hängt, sind verteilt in Deutschland. In Frankfurt, Berlin, im Münsterland. Das stört mich sehr. Das stört mich so sehr, dass ich noch nicht mal Lust hatte, anzurufen, weil ich bei einem Telefonat das Gesicht dann sehen, aber nicht neben demjenigen auf dem Sofa sitzen kann.

Kein Kleid, kein paar Schuhe der Welt kann mich so glücklich machen, wie das Gefühl, dass ich mich ins Auto setzen kann, um einfach zu jemanden hinzufahren, um mich mit der Person zu treffen. Das Gefühl macht mich innerlich einsam. Dabei bin ich ein eher distanzierter Mensch, Umarmungen verteile ich eher sparsam und nur an die, die mir wirklich wichtig und nah sind.

Freitag Abend waren wir Essen, um die Zahnlücke unseres Sohnes zu feiern. Wir haben schön im Ratskeller gegessen, uns nett zurechtgemacht. Es war ein schönes Essen, es hat wirklich toll geschmeckt. Aber da habe ich gemerkt, dass es nicht das war, was in den letzten Wochen gefehlt hat.

Was tut Dir im Moment gut?

Du meinst, bis auf das Glas Wein am Abend 😉

Ich habe mir eine neue Creme gekauft und etwas für die Lippen. Ich hatte noch einen Gutschein von einer Parfümerie in der Stadt. Meine Devise ist immer BUY LOCAL  – schließlich möchte ich auch in einem Jahr noch durch die Stadt gehen und die Geschäfte besuchen. Aber ob ich mir sonst was gönne?

Ich habe das Glück, dass ich einen Partner an meiner Seite habe, der das Leben zu Hause fantastisch unterstützt und sich um so viele Dinge kümmert, für die ich im Moment keine Kraft habe. Er macht das, ohne zu meckern und zu murren. Wenn Du mich also wirklich fragst, wo ich die Kraft gerade hernehme, dann aus der Ruhe zu Hause.

Yvonne Meckelholt

Liebe Yvonne,

herzlichen Dank für diese Momentaufnahme einer Chefin & Mutter.

Was für ein Glück, dass wir uns in wenigen Tagen endlich wieder in den Arm nehmen können.

 

Alles Liebe

Denise

p.s. die nächste Momentaufnahme kommt aus Frankreich und erscheint in 14 Tagen

 

 

 

 

  • Nicole 31/05/2020 at 10:33

    Liebe Dénise,
    das ist auch wieder einmal ein sehr interessantes Gespräch. Ich finde es faszinierend zu lesen, wie unterschiedlich die Menschen in diesen Zeiten empfinden und ihr Leben gestalten.
    Hab schöne Pfingsten.
    Nicole

  • Iris 31/05/2020 at 19:18

    Hallo Denise!

    Wieder mal ein toller Einblick, ein Blick über den eigenen Tellerrand!

    Wie sympathisch Frau Meckelholt rüberkommt und das sage ich nicht nur, weil ich aus der gleichen Stadt kommen😁 Ich finde es toll, wie sie das alles stemmt und süss, dass sie die Zahnlücke ihre Sohnes feiert! So eine Einstellung muss man feiern!!

    Liebe Grüße,
    Iris

  • Nicole 01/06/2020 at 21:33

    So authentisch- so gut -danke

  • Baum Anke 02/06/2020 at 14:06

    Liebe Dénise!
    diese Momentaufnahme von einer Chefin und Mutter hat mich sehr berührt (wie sehr, kann ich gar nicht richtig zum Ausdruck bringen). Letztendlich wahrscheinlich auch dadurch, dass ich Yvonne persönlich kenne und ich weiß, dass Sie es nicht immer leicht im Leben hat.
    Liebe Grüße ,
    Anke

  • Babette Hess-Gieseler 04/06/2020 at 8:12

    Sonst kommentiere ich nie, aber das Interview mit Frau Meckelholt hat mich tief bewegt. Was ist das für eine großartige und wunderschöne Frau :-). Tausendfachen Dank, dass Du ihre Gedanken mit uns geteilt hast. Ich habe mich in so vielen Aussagen wiedergefunden und es treibt mir die Tränen vor Dankbarkeit in die Augen, dass da draußen noch jemand ist, der so fühlt wie ich.
    Liebe Grüße und DANKE an Euch beide
    Babette

  • elke 25/06/2020 at 13:03

    Liebe Yvonne,

    ich kann es Dir voll und ganz nachfühlen. Als dann die lockerungen kamen, fühlte es sich besser an und jetzt ist der Kreis Gütersloh erst mal nur für eine Woche ( wer es glaubt) in dem LOCKDOWN.

    So langsam geht mir wirklich die puste aus.

    Es macht mich wirklich undendlich traurig. Das wir jetzt nicht nach Frankreich in einer Woche fahren können zu unserer Familie und zur Hochzeit unseres Cousen.

    Ich habe fertig. Sage ich einfach mal.

    Herzliche Grüße aus Stukenbrock-Senne

    Elke